16. Juni 2013
Evangelium nach Lukas (7,36-50)Das muss eine peinliche Situation gewesen sein. Mitten in eine ehrwürdige Männergesellschaft platzt da eine Frau herein, die keinen guten Ruf hat, wahrscheinlich eine Prostituierte. Die Gespräche hören plötzlich auf, es entsteht eine große peinliche Stille: Was will die hier? Dann wirft sie sich Jesus zu Füßen. Sie weint furchtbar, so dass ihre Tränen auf die Füße von Jesus fallen. Unbeholfen wischt sie die Tränen mit ihren Haaren weg und dann salbt sie die Füße Jesu: eine Zeichen großer Ehrbezeugung! Und Jesus lässt sie gewähren. Da kann man eine Nadel fallen hören!
Warum tut die Frau das? Das muss eine große Selbstüberwindung gewesen sein, mitten in dieser Gesellschaft auf Jesus zuzugehen. Warum weint sie eigentlich? Ist sie Jesus schon vorher begegnet und hat sie ihm zugehört? Sind es Tränen der Reue? Tränen der Scham? Sie weiß um alles, was in ihrem Leben nicht in Ordnung ist. Sie möchte doch anders leben! Möchte doch wirklich lieben! Sie spürt: Bei diesem Jesus habe ich wirklich eine Chance, er lehnt mich nicht ab. Wenn jemand so Vergebung erhofft und erbittet – wie groß muss dann das Vertrauen sein!Tränen der Dankbarkeit! Je größer die Schuld, die mir vergeben wird, um so größer meine Dankbarkeit!
Liebe Mitchristen! Diese Szene aus dem Leben Jesu spricht ein Thema an, das zwar immer aktuell ist, aber in unserer Zeit ein heikles Thema geworden ist, über das man nicht so gerne redet: Das Thema von Schuld, Sünde und Vergebung.
Wer gesteht schon gerne seine Schuld ein? Über die Schuld von anderen lässt sich leicht reden, aber über die eigene? Man hat immer Angst sein Gesicht zu verlieren, dass das Selbstwertgefühl stark angetastet wird, dass man in den Augen anderer doch nicht so gut ist, wie man es scheinen möchte.
Noch schwieriger wird es, wenn wir, statt von Schuld, von „Sünde“ reden wollen. Das Wort „Sünde“ ist sogar unter Christen ein Fremdwort geworden. In unserer Gesellschaft wird das Wort nur noch spöttisch und verniedlichend verwendet: Man betrachtet Sünde als etwas, was man eigentlich nicht tun sollte, aber das trotzdem viel Spaß macht.
Trotzdem geht es hier um eine sehr reale Erfahrung in unserem Leben. Sündigen ist ja nicht an erster Stelle etwas tun, was verboten ist, gegen irgend ein Gebot Gottes verstoßen. Es geht um etwas Tieferes. Es geht um etwas, was gleichzeitig Gott und den Mitmenschen angeht.
Sündigen hat etwas mit „sich absondern“ von Gott zu tun. Meine Beziehung zu ihm vernachlässigen, mich von ihm entfernen, nicht mehr mit ihm rechnen. Ich brauche ihn nicht. Ich komme ohne ihn auch gut aus. Er interessiert mich immer weniger. Ich lebe in einem Zustand der selbstgewollten Gottesferne, sondere mich von ihm ab. Ich sündige.
Natürlich, wenn ich mit so einer inneren und äußeren Haltung lebe, ist die Gefahr sehr groß, dass ich konkrete Dinge tue, die gegen Gottes Willen sind, nicht dem entsprechen, was er von mir erwartet. Das zeigt sich dann in meinem Benehmen meinen Mitmenschen gegenüber. Ich versuche sie immer weniger zu „lieben, wie mich selbst“. Konkrete sündige Taten sind immer ein Mangel an Liebe: Zu wenig lieben und stattdessen andere benachteiligen, schädigen, herabsetzen.
In diesem Sinne sind wir „sündige Menschen“. Wir bleiben immer hinter dem, was wir in den Augen Gottes sein sollten. Und trotzdem ist unsere Situation nicht hoffnungslos, wie Jesus uns heute zeigt. Egal wie sündig wir sind, wir kommen immer bei ihm zurecht, wir werden nicht abgewiesen. Das soll uns zu einer Dankbarkeit bewegen, wie die Frau im Evangelium es überschwänglich zeigt.